Dienstag, 6. April 2010

Messi, eine Halbzeit.

Ich sitze abendlich im urbanen Freien beim Bier und es gibt keinen echten Grund, nach Hause zu gehen. Aber irgendetwas zieht mich heim vor den Bildschirm; eine Ahnung, eine Intuition? Oder einfach pures Glück?

Ruft er gerade Gott an und erklärt ihm Fußball?

Ich sehe gerade noch die Wiederholung eines Schusses der keine Widerrede duldet, der die Zeit anhält. "Got no words for that one", sagt der englische Kommentator.
So schön war Sprachlosigkeit noch nie.
Und damit fängt erst an, was wiederzugeben ebenso so schwer fällt wie es leicht aussehen mag: Lionel Messi zeigt der Welt, wie überirdischer Fußball geht. Kommt er an den Ball, und wenn es 40 Meter bis zum Tor sind und er zwei hochveranlagte Londoner Profis gegen sich hat, geht ein Aufschrei durch das Nou Camp, ein Aufschrei der Freude, ein Aufschrei des Glaubens, ein Aufschrei als Soundtrack der Vision, die 90 000 in Barcelona und Hunderte Millionen Menschen weltweit haben, denn alle wissen sie: Ein Geniestreich steht bevor.
Und wir dürfen zuschauen.
Die Gegner in den weißen Trikots staunen genauso wie Schiedsrichter Wolfgang Stark, der den Kleinen einmal per Pfiff schützt, obwohl Denílson ihn nicht foult, einfach weil er weiß, dass Messi jedes Recht auf seiner Seite hat, weil auch er gesehen und genossen hat, wie Messi vorher drei Arsenaler hat aussehen lassen wie Pappkameraden, wie willfährige Backgroundtänzer seines euphorischen Musicals, bei dem er auf dem Rand der Bühne tanzt mit einem Ball, der ihm hörig ist. Als Messi den startenden Abidal mit einem Pass wie ein Lichtschwert auf die Reise schickt und dieser vor lauter Freude über das geniale Zuspiel den Ball nur in die Mitte flüstert statt flankt, rauscht aus dem Hintergrund der Urheber der Attacke an und vollendet den schon verloren geglaubten Angriff zum 2:1, den er sich wahrscheinlich genauso ausgedacht hatte. Eine Viertelstunde und einige fruchtlose, aber wunderschöne Aktionen später, die Messi wie ein Komponist nur zu Gunsten des Spannungsbogens in seine Symphonie einstreut, bricht sich seine unvergleichliche Spielfreude erneut Bahn und er schließt seinen Marsch gen Almunia ab, wie es nur ihm erlaubt ist: Mit einem an Chuzpe kaum zu überbietenden Tschipper, einer lässigen Demonstration seiner Herrschaft über Zeit und Raum innerhalb dieses Runds, einem treffenden Ausrufezeichen hinter seinem Jahrhunderttalent.
"He shurely is overrated, isn´t he?" fragt der bezauberte Brite rhetorisch in sein Mikrofon, seine letzte Zuflucht in der Ironie suchend.
Wie soll man auch sonst einem Wunder begegnen?

Man kann nichts tun. Man kann sich nur auf die zweite Halbzeit freuen.

Keine Kommentare: